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Rede von Kultusminister Prof. Dr. Jan-Hendrik
Olbertz zum Neunten Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes
17.12.2004, Magdeburg – 331
- Bildungsministerium
Kultusministerium - Pressemitteilung Nr.: 331/04
Kultusministerium -
Pressemitteilung Nr.: 331/04
Magdeburg, den 17. Dezember 2004
Rede von Kultusminister Prof. Dr. Jan-Hendrik
Olbertz zum Neunten Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes
Landtagssitzung
am 17. Dezember 2004, TOP 16
Im Mittelpunkt des Gesetzentwurfs
stehen Fragen der inneren Schulgestaltung und der Qualitätssicherung. Selten
war die öffentliche Diskussion über Schulen so sehr von der Frage bestimmt, wie
die Qualität des Unterrichts und der Erziehungsarbeit an den Schulen verbessert
werden kann. Dies ist erfreulich, weil es uns pragmatischen Zielen statt
ideologischen Lagerkämpfen verpflichtet, deren Wirkung auf die Schulen fatal
ist, wie man in Deutschland seit Jahrzehnten beobachten kann. Bei der Pflicht
zur Rechenschaft z.B. durch Evaluation, die im Schulgesetz ausdrücklich hervorgehoben
wird, geht es für die Schulen um die Überprüfung der erreichten Ziele, und zwar
sowohl im Hinblick auf die Schülerleistungen als auch auf die Lehr- und
Lernbedingungen, die Professionalität der Lehrkräfte und der Schulleitungen
sowie auf das Schulklima.
Ein wichtiger Schritt ist hier
die Einführung von Bildungsstandards, in denen Ziele und Inhalte des
Unterrichts in verbindlicher Form festgeschrieben werden. Der Sinn solcher
Standards besteht nicht nur darin, schulisches Output besser messbar zu machen,
sondern die Qualität des Unterrichts zu erhöhen. Das kann aber nur
funktionieren, wenn wir wesentlich mehr Anstrengungen auf die Entwicklung
begleitender Förder- und Stützsysteme legen, die individuell zugeschnitten
sind, das Zurückbleiben vermeiden und die besonderen Stärken und Begabungen der
Lernenden aufgreifen. Daran mangelt es im deutschen Schulsystem generell, und
viele Defizite, die in derzeit in populistischer Manier und mit ideologischer
Verbissenheit wieder einmal den Schulstrukturen (also der Gliederung unseres
Systems) zugeschrieben werden, haben in Wirklichkeit hier ¿ und damit in allen
Schulformen ¿ ihren Ursprung.
Einen weiteren Schwerpunkt des
Gesetzes bilden die Freiräume, die sich aus der erhöhten Selbständigkeit und
Eigenverantwortung der Schulen ergeben, zum Beispiel die Schulprogrammarbeit
oder die Ausgestaltung von Vereinbarungen der Schulen mit den Eltern und den
Schülerinnen und Schülern. Auch hier gibt es nicht nur in Sachsen-Anhalt,
sondern in Deutschland insgesamt beträchtliche Mängel, und es muss alles unternommen
werden, um den Faden zwischen Elternhäusern und Schulen wieder enger zu weben
(bzw. in manchen Fällen überhaupt erst einmal wieder aufzunehmen). Freiräume
verlangen natürlich nachhaltige Schritte zur Qualitätssicherung. Dieser
Anspruch liegt dem neuen § 11a zu Grunde, in dem die Qualitätssicherung als
kontinuierliche Aufgabe der Schulen und der Schulbehörden festgehalten wird.
Mit einheitlichen und verbindlichen Maßstäben hängt auch die Einführung eines
nunmehr konsequenten Zentralabiturs zusammen, das künftig Fremdkorrekturen einschließt.
Dem Ziel, die Qualität des
Unterrichts zu erhöhen, verdankt sich auch die jetzt ausdrücklich formulierte
Fortbildungspflicht für Lehrerinnen und Lehrer.
Neu ist auch, dass die
Schulträger ab dem 1. August 2006 die Möglichkeit haben, auf die Festlegung von
Schulbezirken für Grund- und Sekundarschulen zu verzichten. Das ermöglicht den
Eltern, wie in zahlreichen Kreisen und kreisfreien Städten schon jetzt bei den
Gymnasien, die Wahl zwischen verschiedenen Schulen und ihren Angebotsprofilen.
Auch in diesem Zusammenhang erlangt die Schulprogrammarbeit Bedeutung. Im berufsbildenden
Schulwesen hingegen war mit Blick auf die erforderliche Sicherung eines
leistungsfähigen, auf die Berufsbilder hin ausreichend differenzierten und
regional ausgewogenen Schulangebotes die Möglichkeit zur Festlegung von
Einzugsbereiche zu schaffen.
Besonderen Raum im
Gesetzentwurf nimmt die sonderpädagogische Förderung ein. Hier ist
beabsichtigt, landesweit Förderzentren einzurichten, an denen die Beratung,
Diagnose und Prävention konzentriert und eine Zusammenarbeit der Förderschulen
mit den anderen Schulformen intensiviert werden kann. Das ist notwendig, um
alle Potentiale für eine dem individuellen Förderbedarf entsprechende
schulische Bildung auszuschöpfen, neue Spielräume einer fachlich tragfähigen
Integration zu schaffen und Synergieeffekte zu nutzen. Die Umbenennung der
Sonderschulen in Förderschulen ist hier also durchaus mehr als nur sprachliche
Kosmetik.
Dabei geht es auch ¿ wie an
allen Schulen ¿ um eine verbesserte Zusammenarbeit mit außerschulischen
Partnern wie kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen, Unternehmen,
Kirchen oder Verbänden. Solche Kooperationsbeziehungen eröffnen pädagogisch
neue Horizonte, Erfahrungsräume und Begegnungen, die die praktische Relevanz
und Lebensnähe schulischer Themen stärken.
Änderungen gibt es auch bei den
Gesamtschulen, die künftig mindestens vierzügig zu führen sind, da nur so die
erforderliche Basis für die gebotene Differenzierung und Förderung der
Schülerinnen und Schüler gewährleistet werden kann.
Eine wichtige Rolle spielt das
Problem der Schulverweigerung. Natürlich sind zunächst alle erzieherischen und
pädagogischen Mittel auszuschöpfen, den regelmäßigen Schulbesuch zu sichern.
Dazu gehören in erster Linie pädagogische Maßnahmen, denn kein Kind wird die
Schule meiden, wenn es sich dort aufgehoben fühlt, Erfolg und Freude am Lernen
erlebt und sich in der Gemeinschaft verwirklichen kann. Aber ist die Schule
nicht allein in der Lage, diese Voraussetzungen zu schaffen, dann muss es im
Einzelfall auch möglich sein, die Schulpflicht auch gegen den Willen des Kindes
durchzusetzen.
Überdies haben wie in mehreren
anderen Bundesländern die Schulen zukünftig das Recht und die Pflicht, auch die
Erziehungsberechtigten volljähriger Schülerinnen und Schüler über wesentliche
Vorgänge zu informieren. Hierfür ist die Zustimmung der Schülerinnen und
Schüler einzuholen; wird sie verweigert, sind die Eltern über diesen Umstand in
Kenntnis zu setzen.
Zur Besetzung von
Schulleiterstellen sieht der Gesetzentwurf keine Wahlen durch die
Gesamtkonferenz mehr vor, sondern ein Recht auf Anhörung mit dem Ziel der
Einigung. Dies ist eine Konsequenz des Beamtenrechts, denn die meisten Stellen
werden mittelfristig durch an anderen Standorten freigesetzte Schulleiter zu
besetzen sein. Ein weiterer Beweggrund war, dass das Wahlrecht ungewollt den
Fusionsprozess von Schulen erschwert, weil eine Wahl erst nach Gremienbildung
an neu zusammengelegten Schulen erfolgen konnte. Gerade in dieser schwierigen
Phase ist aber Klarheit über die Schulleitung unerlässlich.
Schulen in freier Trägerschaft sollen die Gleichwertigkeit
ihrer Abschlüsse und zugleich ihren Anspruch auf innere und äußere
Gestaltungsfreiheit und eigenständige inhaltliche Prägung verwirklichen können.
Anerkannte Ersatzschulen müssen für neue Lehrkräfte künftig keine Unterrichtsgenehmigungen
mehr einholen. Für die Mehrschülerregelung ist nicht mehr die Klassen-, sondern
die Jahrgangsstärke maßgeblich. Bewährten Trägern einer anerkannten
Ersatzschule wird für eine genehmigte allgemein bildende Ersatzschule derselben
Schulform nach einjährigem Schulbetrieb eine vorzeitige Finanzhilfe gewährt, die
75 v. H. der üblichen Finanzhilfe beträgt.
Meine Damen und Herren, eine
nicht unumstrittene Veränderung des Gesetzes betrifft Kinder, die nach der
Grundschule das Gymnasium besuchen wollen, jedoch keine entsprechende
Schullaufbahnempfehlung haben. Hier soll in Zukunft eine Eignungsfeststellung
erfolgen, um zu verhindern, dass noch mehr Schülerinnen und Schüler am
Gymnasium scheitern und es vorzeitig verlassen. Ich muss niemandem erklären,
mit welcher Enttäuschung und Frustrierung der Lernmotivation solche Erlebnisse
verbunden sind. Mit der Eignungsfeststellung werden keine formalen Tests
verbunden, sondern neben einigen Aufgaben in Deutsch und Mathematik soll ein
Gespräch mit erfahrenen Grundschul- und Gymnasiallehrkräften sowie
Schulpsychologen stattfinden, das inhaltlich an die Interessen des Kindes
anknüpft, seine besondere Situation berücksichtigt und die vorhandenen
Potentiale auszuloten versucht. Es schwebt uns also ein sehr behutsames
Verfahren in Gesprächsform unter Beteiligung des schulpsychologischen Dienstes
vor. Im übrigen wird damit noch keinesfalls eine Entscheidung gefällt, welches
Kind später das Abitur erwirbt und welches nicht, denn sowohl während der Sekundarstufe
I als auch nach dem Besuch der Sekundarschule ist und bleibt der Übergang zum
Gymnasium oder Fachgymnasium offen, wenn die entsprechenden Leistungsvoraussetzungen
vorliegen. Diese Option wiederum hat mit Förderung zu tun. Deshalb wird die
individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern auch an anderen Stellen im
Schulgesetz immer wieder ausdrücklich betont.
Wenn man die Maßstäbe des
Gymnasiums nicht zur Disposition stellen will, bleibt nur der Weg, die
alternativen Bildungsgänge attraktiver zu machen und ihre konzeptionellen
Vorzüge besser zu kommunizieren. Ich wiederhole hier erneut, dass wir die
Sekundarschule als gegenüber dem Gymnasium gleichwertigen Bildungsgang
unterschiedlichen Förderprofils verstehen. Diese Sicht folgt dem übergreifenden
Grundsatz, dass es kein Kind auf dieser Welt gibt, das gänzlich unbegabt ist, aber
viel zu viele Kinder, deren individuellen Stärken und Neigungen nicht oder viel
zu spät erkannt und dann bestenfalls halbherzig gefördert werden. Und die Erhöhung
der Reputation der Sekundarschulen kann natürlich nur funktionieren, wenn wir
sichtbare Fortschritte in ihren Lehrplänen, ihrem Angebotsprofil, ihrer
Ausstattung, ihrem baulichen Zustand usw. vorweisen können. Nicht ohne Grund
bilden die Sekundarschulen den Landesschwerpunkt im Ganztagsschulprogramm und
stehen auch sonst im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Kultusministeriums.
Meine Damen und Herren, die
vorgeschlagenen Regelungen sind geeignet, die Bildungsarbeit in Sachsen-Anhalt
zu verbessern und die Qualität der Ausbildung dauerhaft zu erhöhen. Größere
Teile des Gesetzentwurfes haben im Ausschuss für Bildung und Wissenschaft die
Zustimmung aller Parteien erhalten, auch unter gelegentlicher Hintanstellung
jeweils eigener Präferenzen. Leider ist der Versuch, zu einem gemeinsam mit der
SPD getragenen Gesetzentwurf zu gelangen, im Zusammenhang mit dem letzten Punkt
gescheitert. Ungeachtet der Überzeugung, dass Sie über ein gutes Schulgesetz
abzustimmen haben, stieß das Bemühen, in der Bildungspolitik des Landes Gräben
zu schließen, hier an seine Grenzen. Um so mehr freut es mich, dass auf dem zentralen
Gebiet innerer Reformen eine Zersplitterung der Reformbemühungen vermieden und
gemeinsame Lösungen gefunden werden konnten. Dies ist für die Entwicklung in
den Schulen, gerade angesichts der PISA-Ergebnisse, mit Sicherheit besser als
Lagerkämpfe.
Das Gesetz enthält eine Menge
einvernehmlicher Regelungen, mit denen der Prozess der Erneuerung in unseren
Schulen bestärkt und beschleunigt werden kann. Die Schulleitungen, die
Lehrkräfte, die Eltern, die Schulverwaltungen und natürlich die Schülerinnen
und Schüler möchte ich ermutigen, sich auf diesen Prozess einzulassen. Das
Gesetz setzt ein wichtiges Zeichen für Kontinuität im Bildungswesen, auf das
viele Menschen im Land Hoffnung setzen.
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